Der Blog eines aus dem Takt geratenen Gastronoms. Ich bin Mike und Besitzer des Barprojekts Triobar, dieses Barkonstrukt ist anders und eher als ein Speakeasy zu verstehen. Dieser Blog spiegelt meine Sichtweise zu den Themen Bars, Leben & Barkultur.
Montag, 23. Februar 2009
Trinkgeld....
oder der Rest ist fuer sie...
bei Mixology wird momentan wieder mal über die Trinkgelder gesprochen, da suche ich in meinem kleinen Zeitungsfahnenarchiv doch mal was passendes raus...
(Wilfried Speitkamp erzählt die Geschichte des Trinkgeldes, eine kleine Rezension freundlich der FAZ entnommen:-)
Was Trinkgeld ist oder auch tip oder pourboire, scheint nicht schwer zu sagen. Im aktuellen Brockhaus findet man die Definition, dass es sich dabei um ein Entgelt handle, das einem Arbeitnehmer oder sonstigem Dienstleistenden anlässlich einer Dienstleistung über die hierfür zu beanspruchende Vergütung hinaus freiwillig gewährt wird. Das zieht allerdings gleich die Frage nach sich, in welchem Sinn hier von Freiwilligkeit die Rede sein kann: Schließlich hat man es, je nach nationaler Gepflogenheit und Dienstleistung, in der Regel mit einer ziemlich fest etablierten Praxis zu tun, der nachzukommen nahegelegt ist und die vielleicht sogar als stillschweigend vereinbart gelten kann.
Man könnte diese Schwierigkeit umgehen, indem man festhält, dass es beim Trinkgeld doch jedenfalls um rechtlich nicht einklagbare und in diesem Sinne freiwillige Zahlungen gehe. Aber zwischen rechtlich nicht festgeschriebenen und schlichtweg freiwilligen individuellen Handlungen liegen noch viele gesellschaftliche Möglichkeiten. Vielleicht machen es im Allgemeinen ohnehin erst eine Reihe von sozial "determinierenden" Faktoren interessant, den Freiheitsspielraum für entsprechende Entscheidungen hervorzuheben. Die Praxis des Trinkgeldgebens ist jedenfalls eine aufschlussreiche Angelegenheit, wie die kleine Geschichte des Trinkgelds schön vor Augen führt, die der Historiker Wilfried Speitkamp nun vorgelegt hat.
Aus strikt ökonomischer Perspektive erweist sich das Trinkgeld dabei als ziemlich harte Nuss. Naheliegend ist der Gedanke, es der Sicherung eines Vorteils bei zukünftigen Dienstleistungen des Empfängers zuzurechnen. Das mag zwar manchmal durchaus stimmen. Aber es greift doch nicht, weil ein beträchtlicher Teil von Trinkgeldern nachweisbar in Situationen - etwa auf Reisen und im Urlaub - gegeben wird, wo der Wiederholungsfall gar nicht eintritt.
Offensichtlich sind also mehr als schlicht materiell-ökonomisch zu verrechnende Beweggründe mit im Spiel, die das Trinkgeldgeben zu einer überaus hartnäckig geübten Praxis machen. Denn so lässt sich die Geschichte auch lesen, die Speitkamp vom achtzehnten Jahrhundert bis nahe heran an unsere Gegenwart verfolgt: als eine lange Reihe von Versuchen, das Trinkgeld mit mehr oder minder guten Gründen zum Verschwinden zu bringen, ohne dieses Ziel je zu erreichen.
Die Kritik an der Trinkgeldpraxis konnte verschiedene Motive haben. In den um 1900 besonders heftig geführten Debatten sind sie fast alle präsent. Da ist zum einen die Klage über eine ärgerliche Inkonsequenz und Willkür der gängigen Praxis. Wie soll man sich erklären, dass bestimmte Dienstleistungen wie selbstverständlich mit dieser Praxis verknüpft sind, durchaus vergleichbare dagegen nicht? Verknüpft mit dieser Klage ist manchmal die Diagnose, dass es sich beim Trinkgeldgeben recht besehen eigentlich auf Seiten der Geber um Bestechungen zu ihrem Vorteil handle, aus denen zusammen mit dem eingefleischten Eigennutz der Empfänger eine sozial verpflichtende Gewohnheit wird. Als fatal werden insbesondere die Anreize empfunden, die das erwartete Trinkgeld auf das Verhalten und das Selbstverständnis der Empfänger hat. Das Gastgewerbe steht dabei im Zentrum der Aufmerksamkeit, und dass es dort oft um den Austausch zwischen männlichen Gästen und weiblichen Bedienungen geht, wird als ein heikler Punkt empfunden.
Die Kritik wird verschieden instrumentiert. Besorgnis über einen mit der Trinkgeldpraxis einhergehenden Sittenverfall samt unerwünschten gesellschaftlichen Konsequenzen kann sich auf das Verhältnis der Geschlechter richten, aber auch, wie in den Vereinigten Staaten, auf die Beziehung zwischen Schwarzen und Weißen und ganz allgemein zwischen Ober- und Unterschichten. Das Trinkgeldgeben sei eine Praxis der Reichen, die die Männer zu Lakaien und die Mädchen zu Kellnerinnen und Prostituierten mache, so klingt das bei einem sozialkritischen Autor wie Upton Sinclair kurz nach der Jahrhundertwende.
Kritiker wie Sinclair befanden, dass sich der Trinkgeldgeber einen Distinktionsgewinn auf eine Weise erkaufe, die fatal für das politische Gemeinwesen von freien und rechtlich gleichen Bürgern war. Das ist gar nicht weit von der demonstrativen Abkehr vom Trinkgeld entfernt, die später in europäischen Diktaturen, ob faschistisch oder volksdemokratisch, gepflegt wurde. Aber weder in Amerika, wo es einige Bundesstaaten mit gesetzlichen Verboten versuchten, noch im faschistischen Italien oder später in der DDR wurde das Trinkgeld obsolet. Seine Abschaffung erwies sich unter ganz verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen als nicht durchsetzbar.
Auf die Details kommt es hier freilich an, aus denen der Autor eine kleine Geschichte des Kellnerstands und der Reisegewohnheiten von der Postkutsche bis zum Massentourismus heutiger Prägung gewinnt. Er weiß dafür den Freiherr von Knigge ebenso zu lesen wie die Programmschriften der diversen Anti-Trinkgeld-Vereinigungen, Querelen streitfreudiger deutscher Juristen und touristische Ratgeber für die Orientierung im weltweiten Trinkgelddickicht.
Und wie lässt sich nun erklären, dass das Trinkgeld in seiner reinen, mit Bestechungszahlungen nicht zu verwechselnden Form über alle Kulturen und politisch-wirtschaftliche Zeitenwenden hinweg zum transnationalen Phänomen wurde? Die ökonomische oder juristische Perspektive greift dafür zu kurz, doch näher kommt man für Speitkamp dem Phänomen, wenn man den in den Debatten angeschlagenen Motiven von Ehre, Distinktion und Anerkennung ein Stück weiter folgt.
Dann nämlich könne man sehen, dass es dabei in Geldform um symbolisches Kapital geht, das Geber wie Empfänger im gelingenden Fall für sich verbuchen können. In dieser Perspektive erscheint die Trinkgeldpraxis nicht als bloßer Austausch von Waren, sondern als Gabentausch zwischen grundsätzlich ungleichen Partnern, die sich jenseits aller Rechtstitel eines gesellschaftlichen Zusammenhalts versichern, der ohne Vertrauen und Anerkennung nicht stabil zu halten ist.
Ehre, Status und Prestige werden dabei jeweils neu bewertet und justiert, wie verschieden auch die gesellschaftlichen Vorstellungen von diesen Begriffen über kulturelle Unterschiede hinweg sein mögen. So betrachtet, müsste man sich im Gegensatz zu den weiland bürgerlichen wie sozialistischen Kritikern der Trinkgeldpraxis eher dann Sorgen machen, wenn diese symbolischen Zusatzleistungen außer Gebrauch kämen. Doch damit ist, wie der materialreiche und elegant geschriebene Band zeigt, kaum zu rechnen.
so geschrieben von Herrn HELMUT MAYER in der FAZ...
(Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.08.2008, Nr. 196 / Seite 44)
Danke an Herrn Helmut Mayer, habe mir das Buch jetzt einfach mal bestellt.
Winfried Speitkamp: "Der Rest ist für Sie!" Kleine Geschichte des Trinkgeldes. Reclam Verlag, Leipzig 2008. 169 S., br., 7,90 [Euro].
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